ZUR AUSSTELLUNG "THEY NEVER WONDER", kunstMeran, Südtirol, 2012
Hervorbringen und Verstummen
Tiere als Archetypen der inneren Welt: Animalische Motive im Werk von Annemarie Laner und ihre Ausstellung „They never wonder“ bei kunstMeran.
von Heinrich Schwazer
Tiere sind im Werk von Annemarie Laner nicht nur ein wiederkehrendes Motiv, sie spielen eine ebenso zentrale Rolle wie die Verwendung von skripturalen Elementen in ihren Bildern. Bereits die ersten, noch während der Studienjahre geschaffenen Zyklen, geben Aufschluss über diese intensive Auseinandersetzung. In dem Radierzyklus „Weichselboden oder die Liebe zu den ungeschriebenen Briefen“ aus dem Jahr 1992 drängen tierische Elemente in Gestalt von Hirschgeweihen hervor, ein Jahr später befasst sie sich in „Phantasien eines Panthers“ mit R. M. Rilkes Gedicht „Der Panther" und 1994 arbeitet sie in dem Zyklus „Bocksfuß und andere Scharrbilder“ erstmals mit Mischformen zwischen Mensch und Tier.
Diese thematische Konzentration auf das derzeit vieldiskutierte Verhältnis von Mensch und Tier lässt sich durch ihr gesamtes Werk verfolgen, ebenso wie die fast ausschließliche Verwendung der Farbe Schwarz. Das eine ist ohne das andere nicht zu denken, das eine erschließt sich aus dem anderen.
In der Serie von Zeichnungen „One a Day" (2001 - 2003), aber auch in ihren Wachsarbeiten, tauchen immer wieder animalische Figurationen als Bildelemente auf. Fünf Jahre später (2008) widmet sie sich in einer Serie von Bleiarbeiten dem Pfau als Symbol eitler Schönheit und Unsterblichkeit, 2011 zeigt sie in der Galerie.Z in Hard (Vorarlberg) unter dem Titel „Ich spür ein Tier" eine großformatige Installation aus vergilbten Buchseiten, auf denen in gestisch instabilen Linien Tiergestalten, mythische Mischwesen, Dämonen und Fabelfiguren evoziert werden. Im selben Jahr gestaltet sie für die Ausstellung „Oswald von Wolkenstein" auf Schloss Tirol mit Baumstämmen einen Raum als hybride Welt des Übergangs zwischen Wildheit und wohldosierter Sehnsucht nach Ordnung.
In der Ausstellung bei kunstMeran erreicht die Auseinandersetzung mit dem Tier einen Höhepunkt. Die Frage stellt sich: Welche Bedeutung kommt diesem Motiv über seine geballte phänomenologische Präsenz hinaus in ihrem Werk zu? Eine komplexere Auslegung als eine bloße Beschreibung führt zum einen in die Biografie der Künstlerin, zum anderen in ihre intensive Beschäftigung mit Literatur und der Philosophie des Existenzialismus. Nicht zufällig hat sie zu Albert Camus einen Radierzyklus geschaffen.
Die Inhalte, die schon in ihren frühen Arbeiten begegnen - das Fremdsein, die Traumbilder und Bilder des Unterbewussten, Schmerz, Erotik, die Nachtseiten der menschlichen Seele, mag man diese nun als Abgrund oder als Unbewusstes verstehen, - verdichten sich über die Jahre zu einer Essenz ihres Schöpfungsraums. Viele Bildwelten davon sind aus dem Fundus der eigenen Kindheit geschöpft – wie kaum eine andere Künstlerin bekennt sie sich zur Lebendigkeit ihrer Kindheitsgefühle -, doch diese verknüpfen sich mit dem allgemeinen Unbewussten. Tiere eröffnen in diesem Kosmos einen ganzen Fächer von Deutungsmöglichkeiten, der von einer surrealistisch geprägten Poetik des Irrationalen oder Triebhaften, bis hin zu einer Symbolik der Ursprünglichkeit reicht.
Ein genauerer Blick zeigt, dass die Künstlerin Tiere nicht als Projektionsflächen benutzt, sondern als Archetypen der inneren Welt, die sie bereist. Die Grenzüberschreitung, die dabei von Außen nach Innen vorgenommen werden muss, geschieht in Form einer Traumlogik und symbolischer Übergänge zwischen Tier und Mensch. Tiere sind in ihren Werken Bildmaschinen der inneren Welt. Sie sind, wie die Träume, nicht das Fremde außerhalb ihrer selbst, sondern der dark continent der Phantasmen, des Unbewussten, der Ängste und Visionen. Das Fremde, das im Eigenen beginnt, ist kein Mangel oder Defizit, sondern das schwirrende, ruhelose, in ständiger Metamorphose begriffene Innere.
Artur Rimbaud´s Diktum „Ich ist ein anderer" aus den „Seher-Briefen" nachempfunden, wimmelt es in Laners Bildern von animalischen Figurationen vor allem chimärischer Natur. Mit breitem Pinsel und einem düster pastosen Schwarz sind die Tiere auf Buchseiten oder Stoff gemalt, doch es ist leicht ersichtlich, dass es sich um keine Tier-Illustrationen handelt. Es sind keine Wesen aus Fleisch und Blut, sie erinnern viel mehr an die namenlosen Chimären der Kindheit, die Fratzen der Nacht und die Dämonen des Unbewussten.
Allein die ausschließliche Verwendung der Farbe Schwarz ist schon sprechend. Schwarz, diese einfache Farbe, die nicht einfach ist, spielt mit dem Nicht(s)-Sehen-Können, was den Blick unwillkürlich nach innen richtet. Eine Todesnähe klingt da an, aber auch das Ideal des bewusstlosen Arbeitens, das Vertrauen in Trieb und Instinkt, in Traum und Gefühl, als Wegweiser zum Kunstwerk, der Künstler, der im kreativen Akt zum Quasi-Tier wird. Vor allem aber ist das Schwarz eine Bildstrategie der Entgrenzung, des Übergangs zwischen dem „Sagbarem" und „Nichtsagbarem" im Sinne Wittgensteins.
Giorgio Agamben hat dies als "anthropomorphe Animalität" bezeichnet und daran erinnert, dass jeder Versuch des Menschen, eine klare Grenzlinie zum Tier in sich selbst zu ziehen, mit Notwendigkeit das Tier zum Verschwinden bringt und der Mensch im Gegenzug zum Nichtmenschen wird. Um menschlich zu bleiben, ist der Mensch gezwungen, sich als „Nichtmensch zu erkennen".
So sehr die schattenhaften Gestalten von Laner, die an die dämonischen Chimären des Mittelalters erinnern, suggerieren, dass es sich um Tierhaftes, Transhumanes handelt, so gewiss ist, dass es sich dabei um eine Selbstbegegnung handelt. Das Fremde ist sich der Mensch selbst. Sie malt das Tier und tastet sich vor zum Menschen. In einer aus Menschenhaar gestalteten Wandarbeit mit dem Titel „Muttertier" sind Mensch und Tier zum Ineinander amalgamiert. Die Verwendung von Haaren fragt eindringlich nach dem ihnen zugehörigen, jedoch nicht präsenten Körper.
Die deutlichsten Veränderungen vom Frühwerk bis zu den aktuellen Arbeiten sind die Verlagerung von der Fläche zu raumbezogenen Arbeiten und ein atmosphärischer Stimmungswandel. Waren die animalischen Wesen bis vor kurzem noch Chiffren aus der Krypta der Seele, so hält sich der düstere Aspekt in ihren aktuellen Werken mit einer Freundschaftsgeschichte die Waage.
In der Ausstellung bei kunstMeran wird die Künstlerin noch einmal offensiver, was das Ausgreifen in den Raum des Betrachters angeht. Die Tiere bevölkern den Raum regelrecht, sei es als humorvolle Attrappen, sei es als Zeichnung, als Pelz oder als flatterhafte Federkonstruktionen. Raben drängeln sich an der Wand und hängen wie Fledermäuse von der Decke. Zwei haben gewitzt unter einem Regenschirm auf der Terrasse Platz genommen. Unwillkürlich beginnt man zu lauschen, ob die Krähenvögel vielleicht eine für menschliche Ohren unhörbare Unterhaltung führen. Schließlich sind sie für ihre Quasselsucht bekannt, weswegen Apollo sie laut Ovid mit dem schwarzen Federkleid strafte.
Die Raben bleiben still, ungreifbar fremd, jenseits, hinter einer Barriere, die nicht zu überschreiten ist, aber ihre Präsenz zieht einen in eine Tiefe, die kein bloßer Hintergrund mehr ist, sondern Grund, Abgrund vielleicht, dem wir entstammen und in den wir einmal zurückfallen.
Das Titelgebende Werk der Ausstellung „They never wonder" sind flatterhafte Konstruktionen aus Straußenfedern, die wie Propeller über den Köpfen schweben. Ihre Präsenz ist mehr leichter Hauch als Okkupation. Das spielt hintergründig auch mit der gegenwärtigen Rückkehr des Verdrängten in der Konsumkultur. Das Animalische kehrt machtvoll durch die Hintertür des Designs wieder in unsere Wohnzimmer zurück.
Die Abwandlung einer Zeile aus Hans Petters „Song for Budhanton" lautet vollständig: „He never wonders why he can´t fly". Antwort darauf gibt die Künstlerin keine. Ihr auf einer Leinwand stehender Stuhl ist verwaist. Die Schuhe sind noch da, ein Pelz ist über die Lehne geworfen. Pure Poesie ist das: Hervorbringen und Verstummen.